Aktuelles

Schließung der Impfzentren – die richtige Entscheidung?


Vorstandsmitglied Peggy Becker stellt 10 spannende Fragen zur Arbeit in den Impfzentren sowie die Erfahrungen und Aussichten rund um das Impfen an Apotheker Dr. Stephan Barrmeyer, den pharmazeutischen Leiter des Impfzentrums Dülmen.

Die Pandemie ist längst noch nicht überstanden, die Coronaimpfungen sind in vollem Gange, doch die Nachfrage geht auch zurück. Die meisten Impfungen gab es bisher in Nordrhein-Westfalen, rund 25 Millionen Impfdosen wurden hier verimpft. Allein im Impfzentrum in Dülmen (Kreis Coesfeld) wurden fast 126 Tausend Impfdosen verimpft, wobei der Großteil beim BionTech-Impfstoff Comirnaty liegt.
Am 30. September 2021 wurden die Impfzentren geschlossen. Die Organisation und das Arbeiten dort waren sehr komplexe Vorgänge. Grund genug, 10 spannende Fragen an den pharmazeutischen Leiter des Impfzentrums Dülmen, Apotheker Dr. Stephan Barrmeyer, zu stellen.

Herr Dr. Barrmeyer, Sie waren im Impfzentrum als pharmazeutischer Leiter tätig, wie kamen Sie dazu?
Als die Idee der Eröffnung von Impfzentren aufkam, trat das Gesundheitsministerium an die Apothekerkammern heran, um ApothekerInnen für die dortige Mitarbeit zu gewinnen. Die Kammern wandten sich dann an die Kreisvertrauensapotheker und in einem Webmeeting wurde das Konzept Impfzentrum vorgestellt. „Ich wusste da noch nicht, was auf mich zukommt, aber ich habe mich sofort bereiterklärt!“ Als langjähriger Kreisvertrauensapotheker und Apothekeninhaber im Kreis Coesfeld stand die Unterstützung fest. Nun galt es eine genaue Planung der Abläufe zu erarbeiten.

Worin lagen Ihre genauen Aufgaben?
Vor dem eigentlichen Arbeiten im Impfzentrum setzten sich die Organisatoren und Leiter zusammen, um die Planung und weiteren Vorgehensweisen zu besprechen. So planten die Apotheker die Räumlichkeiten und richteten diese ein. Es tauchten Fragen auf wie „Ist das Aufziehen der Spritzen eine pharmazeutische Tätigkeit?“ Denn ursprünglich stand nur die Rekonstitution durch das pharmazeutische Personal in 2-Stunden-Schichten vormittags und nachmittags zur Frage. Denn das Aufziehen wollte die Ärzteschaft ursprünglich selbst übernehmen. Schnell wurde aber klar, dass es anders kommt und somit Themen wie längere Schichten, mehr Personal, mehr Aufwand und Material zur Debatte stehen würden. Dazu kam die Sorge, ob die genug Personal zur Verfügung steht, um den Zeitaufwand und das Schichtsystem zu managen. Die Hauptaufgaben der Leiter nach Ablaufplanung waren die Verwaltung, Bestellplanung und Überwachung der Haltbarkeit des Impfstoffes. Es wurden Verfahrensanweisungen erstellt und bearbeitet, Teams eingewiesen und wenn nötig, Änderungen eingefügt. So wurde beispielsweise zu Ostern kurzfristig ein zweites kleines Impfzentrum samt Team in der Turnhalle des Gymnasiums ohne Probleme auf die Beine gestellt. Insgesamt war es eine sehr spannende, aufregende Zeit und ich habe die Aufgabe sehr gerne gemacht.

Wie hat die Zusammenarbeit und Organisation der Teams funktioniert?
Die Organisation der Teams erfolgte über die Kammer per Anruf und Zuruf, teils sogar aus dem Homeoffice. Das hat super funktioniert. In der 1. Woche haben die Leiter (organisatorischer Leiter und der pharmazeutische und ärztliche Leiter inklusive eines Stellvertreters) die Arbeit allein gestemmt. Es wurden nach und nach Teams eingewiesen, es wurde geübt und somit der Pool an erfahrenen Leuten schnell erweitert. Zu Beginn wurde mit den Teams geübt bis es gut lief. Hier war immer einer der drei Leiter dabei. Innerhalb der Teams herrschte ein sehr gutes Miteinander und eine gute Organisation und alle Beteiligten haben sehr gut zusammengearbeitet. Ein besonderer Dank gilt hier natürlich allen freiwilligen Helfern. Auch die Leiter erhielten viele Danksagungen der Teams. Diese Art der Zusammenarbeit solcher Teams könnte für die Zukunft ein Modell für weitere Projekte sein.

Wie viele PTA waren im Einsatz und wie hoch war die Beteiligung zur Unterstützung?
In Dülmen waren über 100 Leute im Einsatz, wovon zwei Drittel PTA waren. Anfangs pro Team zwei Leute, ein(e) ApothekerIn und ein(e) PTA. Später stieg die Regelbesetzung sehr oft auf ein(e) ApothekerIn und zwei PTA. Es gab nie Probleme Termine mit Personal zu besetzen, da die Zahl der Freiwilligen sehr hoch und somit immer für Ersatz gesorgt war. Dies war vor allem auch durch den Aufruf der Apothekerkammer zum Freiwilligendienst sehr gut gewährleistet. PTA konnten sich auf der Kammerseite in eine Bereitschaftsdienstliste eintragen. Die Bereitschaft war teils sogar so groß, dass gar nicht alle, die sich bereit erklärt hatten, eine Einsatzmöglichkeit erhielten. Die Einarbeitung lief sehr gut und etwas anders als in anderen Impfzentren. So gab es andernorts Dummy-Schulungen des Personals.

War die Nachfrage zum Impfen im Impfzentrum wie erwartet?
Anfangs war die Nachfrage sehr groß, zu Beginn sogar höher als teils Impfstoff zur Verfügung stand. Auch die Terminvergabe bereitete anfangs Probleme. In den ersten Wochen gab es nur Nachmittagsschichten und teilweise stellten Impfstoffengpässe ein Problem dar. Bis zu den Sommerferien war die Nachfrage sehr hoch, teils gab es zwischen 700 und 800 Impfungen pro Tag; in der Spitze sogar 1300 pro Tag. Die Verwurfmenge war sehr gering.

Wie waren Ihre Erfahrungen mit den Impflingen?
Die Teams hatten direkt keinen Kontakt zu den Impflingen. Anfangs gab es ab und zu Stress und Ärger bezüglich der Prioritätenliste. Die interne Organisation hat aber sehr gut funktioniert und somit waren alle, die zum Impfen da waren zufrieden und glücklich. Auch Ärzte und ein Rettungswagen für eventuelle Notfälle waren vor Ort. An einem Wochenende wurde die Prioritätenliste aufgehoben, da aus Versehen sehr viel Impfstoff zur Verfügung stand und ein Verfall und Wegwurf vermieden werden sollte. So wurde ausnahmsweise geimpft, wer kommt. Dies lief aber auch reibungslos und war eine Ausnahme. Es wurde normalerweise die Menge Impfstoff bestellt, die für die Termine benötigt wurde.

Wie ist Ihre Meinung zur Schließung des Impfzentrums? Gibt es Vor- und Nachteile?
Ich sehe es mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Es war eine sehr spannende und neue Erfahrung für mich. Mein Wunsch wäre gewesen, die Infrastruktur des Impfzentrums für eine schnelle Wiederabrufbarkeit stehen zu lassen. Denn es bleibt die Frage: Schaffen die Ärzte das Impfpensum und die Organisation neben dem alltäglichen Ablauf in den Praxen? Wie viele Vials/Impfdosen bleiben ungebraucht? Da nun die Lagerung und Bestellung der Impfstoffe vermehrt über die Apotheken läuft, bleibt es spannend, wie es weitergeht. Es sollte schließlich nicht zu einer Überlastung kommen und MFA sehen teils bereits jetzt Probleme vor Ort. Vorteile der Schließung sind ganz klar, dass die freiwilligen PTA und ApothekerInnen nun wieder in den Apotheken vor Ort im Einsatz sind. Wobei in den letzten Wochen deutlich wurde, dass viele PTA aufgrund ihrer positiven und neuen Erfahrungen auch weitergemacht hätten, teils sogar ehrenamtlich und unentgeltlich. Nachteile sind in der Finanzierung des Impfzentrums zu sehen. Allein die Miet- und Personalkosten waren sehr hoch. Ein weiterer Punkt ist das Fehlen eines zentralen Anlaufpunktes.
Ob es eventuell in naher Zukunft mobile Impfteams geben wird/ könnte, liegt in der Entscheidung der KOCI (=Koordinierende Corona Impfeinheit), welche das Impfgeschehen bei den Ärzten beobachten.

Gäbe es derzeit noch einen Bedarf eines Impfzentrums?
Jein. Zuletzt gibt es einen deutlichen Einbruch der Zahlen und der Nachfrage, aber trotzdem ist eventuell das komplette Abbauen ein Fehler. Was, wenn die Ärzte dieser zusätzlichen Aufgabe nicht gewachsen sind? (Coronaimpfungen inklusive Auffrischungen zusätzlich zu Grippe- und sonstigen Impfungen) Die Impfteams bestanden die letzte Zeit teils nur noch aus zwei Leuten. Bei den letztlich organisierten Kinderimpftagen montags und mittwochs für alle Kinder und Jugendlichen ab 12 Jahren waren noch 3 Leute pro Team im Einsatz. Auch ein Kinderarzt war stets vor Ort. Die Nachfrage von Terminen war aber hier wieder hoch.

Sie selbst haben zwei Apotheken. Wie haben Sie das organisiert?
Aus meinen Apotheken waren kaum Mitarbeiter im Impfzentrum tätig, mit Ausnahme von zwei ApothekerInnen, die an ihren freien Tagen mithalfen. PTA hatten sich in die Bereitschaftsliste eingetragen, kamen aber nicht zum Einsatz. Approbierte mussten die interne Arbeit abfangen, was aber machbar war und gut funktionierte. Viele andere Apothekenteams haben einen super Job gemacht. Es war entspanntes, harmonisches Arbeiten mit einem Spritzenrekord von ca. 730 Spritzen an einem Nachmittag! Respekt! Eine Besonderheit gab es an den Abenden im Impfzentrum. Es wurde in einem Formular festgehalten, wie viele Impfdosenbestände abends noch vorrätig waren, einschließlich der Chargen und Verfalldaten. Davon erhielt der pharmazeutische Leiter abends ein Foto des Formulars, um morgens alles auf Korrektheit überprüfen zu können. Anbei gab es stets einen netten Gruß.

Als letzte Frage interessiert mich natürlich, wie Sie allgemein zum Thema in der Apotheke stehen?
Ich stehe dem Thema sehr positiv gegenüber, denn die Nachfrage ist da. Seitens der Bevölkerung ist der Wunsch da „Wann impfen Sie denn in der Apotheke?“ Viele Menschen haben keinen Hausarzt. Auch die Angst der Ärzte, etwas zu verlieren, ist unbegründet. Sie haben ausreichend in den Praxen zu tun. In anderen Ländern (z.B. Frankreich und der Schweiz) wird bereits in Apotheken geimpft. Auch in Nordrhein-Westfalen gibt es Modellprojekte, so ist die gesamte Region Nordrhein Modellregion; in Westfalen-Lippe gibt es momentan vier Modellprojekte, beispielsweise im Raum Dortmund oder Bochum. Wenn alle Formalitäten und Voraussetzungen für die Apotheken geklärt und geregelt sind und auch das Personal entsprechende Schulungen erhalten hat, kann und wird es sicher auch bei uns losgehen.

Ich danke Dr. Stephan Barrmeyer für die Zeit zur Beantwortung der Fragen und die Bilder.
Peggy Becker, PTA

 

(14.10.2021)