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Versandhandel: Totengräber oder Schwarzer Peter?


Ein Kommentar unserer Bundesvorsitzenden Carmen Steves zum Apotheken-Versandhandel und wie mit ihm umgegangen werden sollte.

Kürzlich habe ich gelesen, dass der Versandhandel der Totengräber der Apotheken sei. So etwas ist schnell gesagt und sichert möglicherweise Zustimmung im Apothekenlager. Das nutzen natürlich gerne auch die, die man allgemeinhin als Apothekenpartner bezeichnet. Aber wird die Aussage dadurch richtig? Vor allem: Ist es für die Apotheken sinnvoll, in Schockstarre vor dieser vermeintlichen Schlange zu sitzen und zu warten, wann sie den finalen Todesbiss ansetzt?

Blicken wir doch einmal zurück: Die Apotheken hatten ihren Frieden mit dem Versandhandel gemacht. Er ist eine Marktform, die inzwischen auch viele Vor-Ort-Apotheken nutzen, um den Service für ihre Kunden auszubauen und neue Geschäftsfelder zu entwickeln. Radikal geändert hat sich das am 19. Oktober 2016, als der Europäische Gerichtshof ausländischen Versendern erlaubt hat, Boni auf rezeptpflichtige Arzneimittel zu geben, was deutschen Apotheken verboten ist.

Seitdem hat der Versandhandel aus dem Ausland erhebliche Umsatzzuwächse verzeichnen können, die nun in der Tat die Branche gefährden. Das liegt aber nicht an der Marktform Versandhandel, sondern an der Wettbewerbsverzerrung, die das EuGH-Urteil geschaffen hat. Die deutsche Politik erklärte immer wieder, dass sie das nicht will, war aber bislang dennoch nicht dazu in der Lage oder bereit, diese Ungleichheit durch europakonformes deutsches Recht wieder zu kassieren. Dieses Versäumnis muss schnellstens gelöst werden. Denn sonst wandern in der Tat noch mehr Kunden zu den EU-Versendern ab. Dafür müssen wir also mit aller Macht gemeinsam kämpfen.

Ein Versandhandel ohne diese Boni ist dagegen weit weniger attraktiv. Machen wir uns doch einmal klar, in welcher Situation die allermeisten Apothekenkunden sind: Sie sind krank und wollen Hilfe. Oft bieten diese – auch planbar – Arzneimittel für die Dauermedikation, nicht selten muss die Hilfe aber schnell und damit wohnortnah erfolgen. Gepaart mit manchmal unverzichtbaren Gesprächen bietet sich hier eine Riesenchance für die Vor-Ort-Apotheken. Denn hier können sie mit ihrer pharmazeutischen Kompetenz und ihrer Persönlichkeit punkten. Apotheken, die selbst einen Online-Shop und/oder einen guten Botendienst-Service anbieten, sind damit im wahrsten Sinne des Wortes Vollversorger. Hatte nicht auch der EuGH darauf hingewiesen, dass es genau diese „Soft Skills“ sind, die der reine Online-Handel eben nicht bieten kann? Warum sollten unsere Kunden also ohne die Boni gerade auf eine offensichtlich schlechtere Alternative vertrauen?

Gefährlich ist daher die politische Untätigkeit, die umso mehr erstaunt, weil es in allen Parteien Gesundheitspolitiker gibt, die sich für deutsche Regelungen einsetzen, die diese Boni verbieten – und zwar vereinbar mit dem Europarecht.

Insofern eignet sich der Versandhandel übrigens auch nicht als Schwarzer Peter. Die Wirtschaftspartner der Apotheken tragen ebenfalls eine große Mitverantwortung für deren ökonomische Situation. Überdeutlich zeigt das aktuell die AVP-Insolvenz. Aber auch sonst gilt: Die Leistungen der Apothekenpartner müssen durchdacht und zu angemessenen Preisen angeboten werden. Sie müssen so gestaltet sein, dass sie die Arbeit in den Apotheken erleichtern und nicht – wie immer wieder – noch weiter erschweren. Fragen Sie sich nicht auch manchmal, warum es so viele Marketingangebote gibt, die eigentlich niemand braucht? Dies zu verbessern, ist Aufgabe der Menschen, die in den Partnerunternehmen der Apotheken Verantwortung tragen. Das öffentlichkeitswirksame Ausmachen von Totengräbern gehört eher nicht dazu. Das Zuschieben des Schwarzen Peters hat noch nie geholfen.

Besinnen wir uns doch auf die Aufgabenteilung, die die Apotheken so erfolgreich gemacht hat. Die Verbände im Apothekenmarkt müssen sich noch stärker dafür einsetzen, dass die Boni entfallen – und das endlich gemeinsam und mit gebündelter Kraft!

Das macht es den Apothekenteams dann auch deutlich leichter, den Veränderungen proaktiv, dabei dennoch entspannt entgegenzusehen und auf ihre unschlagbaren Stärken setzen zu können. Zu viel Hektik und Unruhe bis hin zum Angst machen hilft niemandem, verursacht nur Druck und schlechte Stimmung. Diese Faktoren laugen aus und führen dazu, dass Inhaber und Mitarbeiter irgendwann keine Kraft mehr haben und die Chefs schlicht keine Lust mehr, eine Apotheke zu führen.

Gehen wir es an!

Ihre Carmen Steves

 

(30.10.2020)
(Foto: Martin Winzer – Fotolia.com)